>
Oliver Reiser

www.Chemie-im-Alltag.de

Dispersionsstoffe zur Eindämmung der Ölpest im Golf von Mexico

von Oliver Reiser

Dispersionsstoffe sind im Moment die einzige einigermaßen wirksame Waffe im Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexico. Doch die von BP eingesetzte Chemikalie scheint hinsichtlich Effektivität und Toxizität nicht optimal. © Chemie-im-Alltag 2010.

OelbohrungEs wird wohl eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte der Menschheit werden. Seit mehr als einem Monat treten im Golf von Mexiko täglich etwa 2 Millionen Liter Rohöl ins Meer aus, und alle Versuche, die leck geschlagenen Pipelines zu verschließen, waren bislang erfolglos. Man halte sich dabei vor Augen, dass ein Liter Öl ein Vielfaches an Wasser, nämliche eine Million Liter verseucht. Die bislang ausgetretende Menge Öl hat also in etwa eine Wassermenge verseucht, die dem Gesamtvolumen des Bodensees entspricht. Die Küste Louisianas ist bereits auf einer Länge von 160 km von der Ölpest betroffen.

Öl von Wasser trennen - Physikalische Methoden

ScheidetrichterWasser und Öl mischen sich nicht miteinander, daher ist es im Prinzip sehr einfach, diese beiden Stoffe von einander zu trennen. Im Labor gelingt dies in einem Scheidetrichter: Öl und Wasser bilden zwei Phasen, und das schwere Wasser wird zunächst über den Auslauf abgelassen, danach kann dann das Öl in einen separaten Behälter eingefüllt werden. Doch was im Labor so einfach gelingt, ist im Meer nicht möglich. Aufgrund der extremen Verdünnung im Meerwasser ist der Ölfilm hauchdünn, dafür aber großflächig verteilt, so dass eine einfache Trennung von Öl- und Wasserphase in der beschriebenen Weise nicht möglich ist.

Öl im Wasser neutralisieren - Physikalisch Chemische Methoden

Der physikalisch chemische Weg, mit dem Öl im Wasser fertig zu werden, sieht vor, den dünnen Ölteppich an der Wasseroberfläche aufzulösen. So genannte Dispersionsstoffe, brechen den Ölfilm auf und schließen ihn in kleinen Tröpfchen ein, die dann unter die Wasseroberfläche sinken und dort von Bakterien abgebaut werden können. Hierfür verwendet man in der Hauptsache das gleiche Prinzip, das auch bei Waschmitteln zur Fettlösung angewendet wird: Organische Sulfonsäuren, die eine polare Kopfgruppe - eine Sulfonsäuregruppe - und einen unpolaren Schwanz in Form einer langen Alkylgruppe besitzen, bilden in Wasser so genannte Micellen, in dem sie die polare Kopfgruppe nach außen in das Wasser, und die unpolaren Alkylreste nach innen orientieren. Im Inneren der Micelle wird dabei das unpolare Öl eingeschlossen.

Der Vorteil dieser Strategie ist, dass das Öl von der Oberfläche des Meeres verschwindet und so die Gefährdung vor allem von Vögeln mindert. Dagegen gefährden Ölplugs unter Wasser dort lebende Fische, und aufgrund der riesigen Mengen an Öl, die ins Meer austreten, scheinen sich ohnehin schon große Ölteppiche unter der Meeresoberfläche zu bilden, die Fische und andere marine Lebewesen bedrohen. Andererseits hat man nur dann eine Chance auf den Abbau des Öls durch Bakterien, wenn man es in kleinen Tröpfchen unter die Meeresoberfläche bringt.

Corexit™...

Damit Dispersionsstoffe ihre Wirkung effektiv entfalten können, enthalten sie noch Emulgatoren, die die Micellenbildung im Meerwasser unterstützen. Hierfür werden Alkohole oder Polyether verwendet, die aufgrund ihrer gleichzeitig polaren und unpolaren Eigenschaften als Lösungsvermittler zwischen Wasser und Öl fungieren.

MicelleBP setzt als Dispersionmittel das von der Firmal Nalco hergestellte Corexit™ 9500 und Corexit™ 9527A ein, so wurden bislang mehr als 2.2 Millionen Liter dieser Chemikalien mit Hilfe von Flugzeugen auf die Ölteppiche im Golf von Mexico abgeworfen. Corexit™ in unterschiedlichen Zusammensetzungen ist zwar von der amerikanischen Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen zugelassen, doch gibt es seit langem Bedenken hiergegen. Vor allem der in Corexit™ 9527A verwendete Emulgator 2-Butoxyethanol wird als problematisch für marine Lebewesen eingeschätzt. Corexit™ 9500 verwendet als Lösungsmittel Leichtbenzin, was vermutlich das ausgetretende Schweröl verdünnen soll, aber ebenfalls bedenklich für die Umwelt ist.

... oder Dispersit™?

Als bessere Alternative sowohl im Kampf gegen Ölverschmutzungen gilt das von der Firma U.S. Polychemical Corporation hergestellte Dispersit™, das keine Petroleumprodukte, sondern Lösungsmittel und Detergenzien auf rein wasserlöslicher Basis verwendet. Frühere Tests der EPA haben gezeigt, das Dispersit fast doppelt so effektiv in Golfgewässern im Kampf gegen Ölteppiche wirkt und darüber hinaus wesentlich weniger giftig für marine Organismen ist - dreimal geringer für Silberfische, die als repräsentativer Organismus für Toxizitätsstudien verwendet werden. Ende Juli 2010 kommt die EPA in einer Studie von acht kommerziell verwendeten Dispergenzien, darunter Corexit und Dispersit, nun allerdings zu dem Schluss, dass alle Stoffe eine vergleichbar geringe Toxizität aufweisen und vor allem nicht das Hormongleichgewicht in Mensch und Tier stören- sie wirken nicht als so genannte endokrine Disruptoren).

Firmenpolitik und Interessen im Licht der Katastrophe

OelpestDie Welt ist gefordert, die größte Umweltkatastrophe der Menschheit zu bekämpfen. Die wissenschaftliche Ideenbörse Innocentive sucht in einem Aufruf_an_Wissenschaftler in der ganzen Welt nach Lösungen, die Ölverschmutzung einzudämmen. Um so mehr verärgert mich die derzeitige Politik der direkt beteiligten Firmen, wohl aus finanziellen Interessen nicht in eine Diskussion um die besten Verfahren gegen die Ölverschmutzung einzutreten und darüber hinaus wissenschaftliche Informationen zurückzuhalten. So sitzt die Firma BP im Aufsichtsrat des Corexit™ Produzenten Nalco und hat unmittelbar zu Beginn der Ölpest dessen Bestand aufgekauft. Darüber hinaus ist es unmöglich, detaillierte Informationen über die Inhaltstoffe sowohl von Corexit™ wie auch von Dispersit™ zu erhalten, der Schutz intellektuellen Eigentums wird hier vorgeschoben. Letzeres ist m. E. fadenscheinig: Corexit™ und Dispersit™ sind ohnehin durch Patente geschützt, und jedes gut ausgerüstete chemische Laboratorium kann die Zusammensetzung dieser Stoffe mit Hilfe moderner analytischer Methoden bestimmen, doch dies kostet Zeit und Geld. Was die Welt braucht sind schnelle und zuverlässige Lösungen im Kampf gegen die akute, und langfristig auch gegen weitere Umweltverschmutzungen durch austretendes Öl im Meer. Austausch und Zugänglichkeit aller Informationen und uneingeschränkter wissenschaftlicher Dialog sind notwendig, ökonomische Interessen müssen in den Hintergrund treten: Die Politik, allen voran der Präsident der Vereinigten Staaten Barack Obama, muss hier ein klares Zeichen setzen.

Videoquelle:
YouTube: Wirkung von Corexit


home